Zu Besuch in einer möglichen Zukunft

Time's Up zeigt Change Was Our Only Chance bei der Vienna Biennale for Change 2019.

Unter dem Titel Change Was Our Only Chance installiert die Linzer KünstlerInnengruppe Time's Up in enger Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst Wien im Angewandte Innovation Laboratory (AIL) eine immersive Umgebung, die zum spielerischen Erleben oder gar detektivischen Erforschen einer möglichen Zukunft einlädt.

Die BesucherInnen finden sich wieder in den frühen Abendstunden eines Tages im Jahres 2047, in einer am Meer gelegenen, nicht weiter lokalisierten Stadt namens Turnton. Umgesetzt mittels an Theater und Filmkulissen erinnernde baulichen Elemente, erweitert um Licht-, Duft- und Tonlandschaften, mit medial oder haptisch aufbereiteten Informationen und Anekdoten ergänzt, wird das Szenario einer möglichen Zukunft sinnlich erfahrbar.

Die Welt anno 2047 ist von den verheerenden Langzeitwirkungen der Umweltverschmutzung und der damit einhergehenden Erschütterung des Naturhaushaltes dominiert. Die bis Mitte der 2020er Jahre politisch nur zögerlich bekämpfte globale Erwärmung wütet mit weltweiten Wetterextremen, klimatischen Veränderungen und verunmöglicht die Lebensraumnutzung großflächiger Landstriche und Küstengebiete.

Dieses ökologisch-dystopische Bild des Jahres 2047 wird bei Change Was Our Only Chance um eine sozial-ökonomische Utopie bereichert. Den Umweltkatastrophen samt gesellschaftlicher Konsequenzen wird mit einer Fülle von bereits im Jetzt existierenden Gegenpositionen gekontert. Der weltweite Widerstand gegen die ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen gewann an Dynamik, denn Ungerechtigkeiten wurden endgültig und erfolgreich als Stachel im Fleisch einer pluralistischen, regelbasierten Gesellschaft enttarnt und wirkungsvoll bekämpft. Das Konsumverhalten der Menschen veränderte sich und wirtschaftliche Alternativen, die sich am sozialen Fortschritt und ökologisch nachhaltigen Entwicklungen orientieren, wuchsen zu neuen Leitmotiven heran.

Der Besuch in der Zukunft beginnt mit dem aufgrund der späten Stunde geschlossenen Travel & Thrive without Border-Kiosk, der bei genauerer Betrachtung trotzdem einiges über mögliche Reise-, Migrations-, Arbeits- und Handelsbelange 2047 verrät. Damit eröffnet sich die Sicht auf alternative Fortbewegungs- und Transportmittel, ein gewandeltes Angebot an Beschäftigungen und die wiedergewonnene Normalität von Migrationsbewegungen.
Gegenüber liegt das Travelmotel, belebt von Reisenden, die auf kommende Abreisemöglichkeiten warten. Dass die letzte Überschwemmung in unmittelbarer Vergangenheit liegt und die nächste jederzeit möglich ist, wird sichtbar - genau wie der unaufgeregte und einfallsreiche Umgang damit. Durch die baulichen Reste eines nicht mehr benötigten Parkhauses etwas versteckt lädt Medusas Hafenbar zum Betreten ein, eröffnet eine Sammlung von Geschichten, Anekdoten und Informationen. Hörspiele kombiniert mit einer universell-akustischen Bar-Kulisse verschwimmen miteinander. BesucherInnen, Durchreisende und in Turnton Lebende stellen sich vor, die regionale Zeitung, Posterflächen für gegenwärtige Veranstaltungshinweise oder schlicht das Speisekartenangebot dienen dem Transport inhaltlicher Ausrichtungen und Schwerpunkte der Welt.

Durch die verschiedenen Ausgänge der Bar lassen sich dann weitere Plätze Turntons entdecken. Der Zugang zur Galerie der Stadt führt in die Tiefen des Parkhauses, in der die interaktive Installation „Noise Aquarium“, die den Verlust der Balance von Ökosystemen zeigt. Andere erlauben das Eintauchen in die Welt der autonomen Wissenschaftlerin Anna-Key, eröffnen einen Blick in das Microplastic Reduction Lab oder gewähren Einblick in das Leben einer gegenwärtig im Travelmotel residierenden Reisenden. Visuell angedeutet und akustisch akzentuiert wummert im Hintergrund das nahe Stadtzentrum.

Nicht Angst vor, sondern Lust auf Zukunft machen

Mit Mut zur Lücke bündelt und skaliert Change Was Our Only Chance bereits existierende Propositionen und gehörte Signale mit einer spielerisch injizierten Portion „Fabulation“, um Zukunftsvarianten vorzuschlagen, die ein positives Weltbild hochhalten. Ein Weltbild, das den gegenwärtig vorherrschenden Ängsten vor Zukunft nicht nur widersteht, sondern Lust auf Zukunft macht.

Das von Time's Up entwickelte und in zahlreichen Projekten bereits umgesetzte Format der „Physical Narratives“ ähnelt Filmsets, Bühnen und Tatorten gleichermaßen. Stets menschenleer, sind sie doch von der starken, manchmal auch unheimlichen virtuellen Präsenz facettenreicher, fiktiver Charaktere geprägt. Von ihrer Existenz zeugen die zurückgelassenen Spuren in den Szenarien, die sich vor den BesucherInnen auftun und betreten werden sollen und wollen. Es wirkt, als seien die Menschen nur eben kurz aus dem Bild gegangen, um Zigaretten zu holen; als sei jeden Moment mit ihrer Rückkehr zu rechnen. Mitunter halten sich die ProtagonistInnen der Erzählung offenbar nebenan auf, wie durch die geschlossene Tür aus einem angrenzenden Raum zu hören ist.

Sich unter solchen Umständen als BesucherIn ins Narrativ hineinzubegeben, erfordert manchmal Mut. Den Mut, über die innere Hemmschwelle und in den Raum zu treten, um sich darin ohne zeitliche oder andere Vorgaben frei zu bewegen. Mit dem - auch buchstäblichen - Begreifen der sorgfältig ausgesuchten und hergestellten multimedialen Requisiten greifen die BesucherInnen nach und nach die verschiedenen Erzählstränge auf, gelangen an ihre Enden und Knotenpunkte - und so allmählich zu einem Verständnis der materiell gefassten Geschichte, die im Szenario steckt. Es zu entschlüsseln mag nicht immer einfach sein, doch eben darin liegt der Reiz der kulturellen Detektivarbeit.


Eröffnungspressekonferenz Vienna Biennale for Change 2019 am Dienstag, 28. Mai, 9:30 im MAK
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190522_OTS0060/aviso-pk-28-mai-2019-930-uhr-eroeffnungspressekonferenz-vienna-biennale-for-change-2019-bild

Eröffnung Vienna Biennale for Change 2019 - Change Was Our Only Chance am Dienstag, 28. Mai, 19:30
Angewandte Innovation Laboratory
Franz-Josefs-Kai 3
1010 Wien, Österreich
http://www.ailab.at/

Von Mittwoch, 29. Mai bis Freitag, 27. September, im August geschlossen.
Öffnungszeiten:
Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag: 12:00 bis 17:00 Uhr
Mittwoch: 12:00 bis 20:00 Uhr
Zusätzlich: Samstag 15. Juni, 13. Juli, 21. September: 12:00 bis 17:00 Uhr
Eintritt frei

Das KünstlerInnenkollektiv Time's Up mit einer großen Schar von KomplizInnen (http://timesup.org/TurntonKomplizInnen) in Zusammenarbeit mit Lehrenden, Forschenden und Studierenden der Universität für angewandte Kunst Wien.

Time's Up bewegt sich seit der Gründung im Jahre 1996 an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie, Wissenschaft und Unterhaltung. Als Labor zur Schaffung experimenteller Situationen modelliert die im Linzer Hafen verankerte KünstlerInnengruppe dem Alltag entlehnte Wirklichkeiten im Verbund mit möglichen Zukunftsszenarien zu haptisch erlebbaren Erzählungen, die in Form transmedialer Installationen das Publikum zum aktiven Erforschen einladen. Zuletzt waren diese Arbeiten im Rahmen der Ars Electronica in Linz (2017) und in der europäischen Kulturhauptstadt Valletta auf Malta (2018) zu sehen.
http://www.timesup.org

Time's Up wird unterstützt durch:
Bundeskanzleramt Österreich
Linz Kultur
Kulturland OÖ
LinzAG
emporia Telecom

Rückfragen & Kontakt
Bert Estl
bert@timesup.org
+43 699 12035114

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